"Hier werde ich geerdet."
Wie ein deutscher Chirurg, die ehrenamtliche Arbeit bei Mercy Ships erlebt
Libyen, Gaza, Nigeria, Nepal, Philippinen – die Liste an Ländern in denen Dr. Jens Rabbels ehrenamtlich als Chirurg bereits im Einsatz war, ist lang. Mit einer gewissen Portion Abenteuerlust und dem inneren Wunsch, die Not derjenigen zu lindern, für die medizinische Hilfe unbezahlbar und unerreichbar ist, engagiert sich der 49-jährige Familienvater bereits seit 15 Jahren in der humanitären Hilfe. Auch mit Mercy Ships ist der Mund-Kiefer-Gesichtschirurg seit 2015 regelmäßig im Einsatz. An Bord der Africa Mercy operierte er in Madagaskar, Benin und im Senegal und 2023 auch auf der Global Mercy in Sierra Leone. Wie herausfordernd diese Einsätze für ihn persönlich sind und ihm gleichzeitig neue Energie für seinen beruflichen Alltag in Deutschland geben, erzählt er im Interview.
Lieber Herr Dr. Rabbels, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen für ein Interview mit uns! Seit 2015 sind Sie nun schon für Mercy Ships im Einsatz. Im Dezember 2023 war es insgesamt der fünfte und zugleich Ihr erster Einsatz auf der Global Mercy. Was hat Sie an unserem neuen Hospitalschiff besonders fasziniert?
Definitiv die Größe. Nicht nur die des Schiffes im Allgemeinen, sondern vor allem auch die der Operationssäle, die wirklich auf höchstem Niveau ausgerüstet sind. Sie sind absolut vergleichbar mit Operationssälen an einer deutschen Uniklinik. Das finde ich schon sehr beeindruckend, mit welcher Top-Qualität wir auf so einem Schiff die Menschen medizinisch versorgen und welchen hocheffizienten Patientendurchlauf wir dadurch realisieren können.
Sie blicken ja bereits auf sehr viele Jahre und Einsätze in der weltweiten humanitären Hilfe zurück. Wie haben Sie den Weg zu Mercy Ships gefunden?
Ja, richtig! Ich war bereits für verschiedenste Hilfsorganisation wie Ärzte ohne Grenzen und Interplast auf der Welt unterwegs. Ein Kollege erzählte mir vor einigen Jahren von der Arbeit auf dem Hospitalschiff. Und da ein großer Schwerpunkt bei Mercy Ships auf der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie liegt, trifft das einfach ideal auf meinen Fachbereich, sodass ich mich hier mit meinen Fähigkeiten am besten einbringen kann.
„Die Operationssäle auf der Global Mercy sind absolut vergleichbar mit denen einer deutschen Uniklinik.“
– Dr. Jens Rabbels
Wie kann ich mir die Arbeit als Chirurg auf unseren Schiffen vorstellen? Oder anders gefragt – welche Unterschiede sehen Sie zwischen Ihrer Arbeit an Bord und zu Hause?
Die Arbeit an sich unterscheidet sich kaum von der in einem deutschen Krankenhaus. Die Organisation ist aber außergewöhnlich strukturiert und wirklich wahnsinnig effizient – das liegt vor allem an dem eher amerikanischen System an Bord. Das haben uns die Kolleginnen und Kollegen in Übersee einfach voraus. Außerdem ist es natürlich ein sehr internationales Umfeld und man wohnt gleichzeitig dort, wo man arbeitet – eben auf dem Schiff.
Übrigens, die Erkrankungen der Patienten in meinem Fachbereich sind nahezu identisch mit denen in der westlichen Welt. Nur mit dem einen Unterschied, dass die Dimensionen völlig andere sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel zur Veranschaulichung: Ein Tumor an der Ohrspeicheldrüse wird in Europa oder in den USA normalerweise bereits bei einem Durchmesser von zwei Zentimetern entfernt – in Ländern des afrikanischen Kontinents sind diese Tumore oftmals 20 oder gar 30 Zentimeter groß.
Kommen Sie als Chirurg da manchmal an Ihre Grenzen?
Ja, natürlich, das kommt vor und das aus zweierlei Gründen. Zum einen können wir auf dem Schiff ausschließlich gutartige Tumore behandeln. Bösartige Neubildungen erfordern eine ganz andere Behandlung und Nachsorge wie zum Beispiel eine Chemotherapie – das können wir an Bord leider nicht leisten. Zum anderen gibt es auch Fälle, bei denen selbst ich als erfahrener Chirurg erkennen muss, dass ich es mir fachlich nicht zutraue, diesen Menschen erfolgreich zu operieren. Glücklicherweise habe ich es bisher immer so erlebt, dass zu einer anderen Zeit Kollegen auf das Schiff kommen, die einen solchen Eingriff dann vornehmen können. So ergänzt man sich wunderbar und dem Patienten kann letztendlich geholfen werden. Du bist Teil eines großen Ganzen, wir sind ein großes Team.
Sie haben es eben schon angesprochen. Zur Wahrheit jeder humanitären Hilfe und jedes Hilfseinsatzes gehört eben auch, dass nicht allen Menschen geholfen werden kann – einfach, weil das Krankheitsbild manchmal so gravierend ist, dass objektiv eine Heilung nicht mehr möglich ist. Wie gehen Sie als Arzt mit diesen schweren Situationen um?
Mich macht das jedes Mal extrem traurig und es ist wirklich hart – denn dafür bin ich als Arzt ja eigentlich da – um Menschen zu helfen. Doch dann zu erkennen, dass ich nichts mehr für den Patienten tun kann, ist auch für mich schwer zu akzeptieren. Offen gesagt, bin ich das ein Stück weit auch nicht mehr gewohnt. Denn das ist eine Situation, die ich aus meiner Tätigkeit in Deutschland immer weniger kenne – zum Glück. In unserem Land haben wir so viel mehr an Behandlungsmöglichkeiten, die Menschen kommen ja meist viel früher zum Arzt und erhalten dann in der Regel in einem Stadium ihre Diagnose, wo noch zahlreiche Behandlungsoptionen möglich sind.
Was nehmen Sie mit von einem solchen Einsatz? Wie verändert Sie diese Arbeit persönlich als Mensch aber auch fachlich in Ihrer Profession?
Nach einer solchen Zeit komme ich geerdet nach Hause zurück. Mein Wertesystem wird sozusagen wieder geeicht. Das vermeintlich Selbstverständliche wird neu geschätzt, ich fühle mehr Zufriedenheit, bin demütiger. Gleichzeitig erfrischt mich eine solche Zeit, mein Kopf ist freier, ich habe wieder mehr Energie. Ich denke, das ist eigentlich immer so, wenn wir Menschen einer sehr sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen. Wir entwickeln eine neue Sicht auf die Welt, auf das Leben allgemein.
Als praktizierender Chirurg muss ich dann zurück in der Heimat manchmal aufpassen, dass ich objektiv bleibe. Denn natürlich ist der Schweregrad der Erkrankungen auf dem Schiff um ein Vielfaches heftiger als so manche Beschwerden von Patienten in meinem beruflichen Alltag.
Als Arzt ist es meine Aufgabe zu helfen und nicht zu werten oder subjektiv zu klassifizieren.
Außerdem lernt man viel durch den internationalen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. Ärzte aus den USA sind deutlich strukturierter, arbeiten viel mit Checklisten – da kann man schon eine Menge lernen.
„Nach einer solchen Zeit komme ich geerdet nach Hause zurück. Mein Wertesystem wird sozusagen wieder geeicht.“
– Dr. Jens Rabbels
Was würden Sie anderen Kolleginnen und Kollegen raten, die sich für ein Ehrenamt bei Mercy Ships interessieren?
Trau Dich aus Deiner Komfortzone. Es ist ein tolles Erlebnis, eine bereichernde neue Erfahrung – persönlich wie beruflich.
Vielen Dank, Herr Dr. Rabbels für dieses ausführliche Interview und die sehr tiefen Einblicke in Ihre Arbeit. Ich wünsche Ihnen weiterhin so viel Freude und Motivation an Ihrem wertvollen Dienst. Danke, dass Sie Teil unseres Teams sind!
Werden auch Sie Teil unserer ehrenamtlichen Crew!
Menschen wie Dr. Rabbels sind Herz und Motor von Mercy Ships. An Bord unserer Hospitalschiffe werden ehrenamtliche Fachkräfte in verschiedensten Bereichen gesucht. Von der Kantine bis zum Kapitän sind vielfältige Berufsfelder gefragt und für den zuverlässigen Betrieb der Schiffe unabdingbar. Nur gemeinsam als Team wird ein Hilfseinsatz zum Erfolg – nur zusammen können wir Hoffnung und Heilung zu den Ärmsten der Armen bringen.
Wir stehen Ihnen für alle Ihre Fragen gerne telefonisch unter 0 8191 98550-14 zur Verfügung. Mehr zu unseren Stellenangeboten finden Sie hier.
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interviewte Dr. Jens Rabbels über seine Einsätze bei Mercy Ships.
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