„Gott schenkt Leben in Fülle“
Ein Jahr als Schiffsdirektor an Bord der Global Mercy: Daniel Lauermann über Zusammenhalt, Verantwortung und die Vollkommenheit von Gottes Wirken
Daniel Lauermann kommt aus Halver in Nordrhein-Westfalen und kennt Mercy Ships seit mehr als 20 Jahren. Von Juni 2024 bis August 2025 stand der 40-Jährige als Direktor an der Spitze des größten zivilen Hospitalschiffs der Welt. Gemeinsam mit seiner Frau Linda, die ebenfalls an Bord der Global Mercy arbeitete, waren sie im Dienst für die Menschen in Afrika. Im Interview erzählt er, wie ihn diese Zeit nachhaltig verändert hat und welche Schlüsselerlebnisse ihn besonders berührt haben.
Lieber Daniel, wie bist Du ursprünglich zu Mercy Ships gekommen?
Meine Cousine hatte mir damals davon erzählt, und so habe ich mich kurz nach dem Abitur auf den Weg gemacht. Das muss 2003 gewesen sein. Mein erster Einsatz war auf der Caribbean Mercy. Schon damals habe ich Freundschaften fürs Leben schließen können, mit denen ich noch heute in Kontakt bin.
Du hast während Deines Dienstes auch Deine Ehefrau kennengelernt, wie haben sich Eure Wege gekreuzt?
Meiner Frau Linda und mir ist erst später bewusst geworden, dass Linda im selben Jahr, also 2003, auf der Anastasis im Einsatz war (lacht). Kennengelernt haben wir uns Jahre später in Gambia bei einer Organisation, die aus Mercy Ships hervorgegangen ist. Zwischen 2003 und 2021 waren wir in verschiedenen Ländern und für unterschiedliche Hilfsorganisationen im Einsatz, meist im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. 2018 haben wir geheiratet, und 2021 sind wir dann gemeinsam an Bord zurückgekehrt. Eine Entscheidung, die sich für uns ganz natürlich angefühlt hat. Besonders die Gemeinschaft, die man hier erlebt, ist einfach unbeschreiblich und einer der Hauptgründe, warum wir zurückgekommen sind. Man spürt hier einfach: Wir sind eins in Christus.
Welche Einsätze habt ihr seit 2021 gemeinsam erlebt?
2021 waren wir zum ersten mal gemeinsam im Einsatz auf der Africa Mercy auf Teneriffa, insbesondere während der Corona-Zeit. An Bord habe ich die Besatzung in verschiedenen Bereichen unterstützt.
Ab Juni 2021 war ich dann als Leiter des Country Engagement Teams im Senegal tätig, unter anderem zur Vorbereitung der Rückkehr der Africa Mercy. Im Februar 2022 bin ich kurzfristig als Leiter des IT-Teams an Bord eingesprungen.
Seit 2022 bin ich an Bord der Global Mercy im Einsatz. Zunächst war ich für die Organisation des täglichen Betriebs verantwortlich, dazu gehörten unter anderem die Abläufe in der Logistik, im Steward-Team, im Bereich IT, im Transport sowie in der internationalen Schule.
Seit 2024 trage ich die Gesamtverantwortung für das Schiff.
Was sind Deine Aufgaben als Schiffsdirektor? Wie kann man sich Deinen Alltag vorstellen?
Man kann sich die Rolle ein wenig wie die Leitung einer internationalen Niederlassung vorstellen. An Bord haben wir rund 500 internationale Mitarbeitende aus aller Welt sowie etwa 300 nationale Mitarbeitende aus dem jeweiligen Gastland, also ein ziemlich großes Team.
Als Schiffsdirektor bin ich für den gesamten Bordbetrieb verantwortlich. Das reicht von der täglichen Organisation über Personalführung bis hin zur Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und Partnerorganisationen. Gleichzeitig ist man so etwas wie ein Bürgermeister, denn das Schiff funktioniert in vielerlei Hinsicht wie ein kleines schwimmendes Dorf.
„Die Rolle ist sehr vielfältig. Einerseits geht es um Führung und Organisation, ähnlich wie bei einem Geschäftsführer, andererseits spielt auch die menschliche und geistliche Begleitung eine große Rolle. Ich vergleiche es manchmal mit der Aufgabe eines leitenden Pastors in einer großen Gemeinde: Man trägt Verantwortung für Menschen, trifft wichtige Entscheidungen, begleitet Teams und gibt Orientierung.“
– Daniel Lauermann
Darüber hinaus gibt es eine repräsentative und politische Dimension. Gemeinsam mit dem Länderdirektor im jeweiligen Einsatzland sind wir Ansprechpartner für Regierungsvertreter besonders den Gesundheitsministerien. Unser Ziel ist es, die Einsätze gut in die nationalen Strukturen zu integrieren und langfristige Partnerschaften aufzubauen.
All das macht die Aufgabe sehr facettenreich, wie gesagt von geistlicher Leitung über Management bis hin zu diplomatischem Geschick ist alles gefragt. Es ist herausfordernd, aber auch unglaublich erfüllend.
Das sind wirklich viele Aufgaben. Was hat Dir in schwierigen Momenten besonders geholfen?
Eine der herausforderndsten Situationen war sicher, als zwei unserer Crew-Mitglieder schwer an Malaria erkrankten. Einer hat es geschafft, der andere ist leider verstorben. Das kommt zum Glück sehr selten vor. Vielleicht alle zehn oder fünfzehn Jahre. Aber wenn so etwas passiert, vor allem mit jemandem aus der Langzeit-Community, erschüttert so etwas das ganze Schiff.
Der junge Mann starb in den frühen Morgenstunden an einem Freitag – ein Schock für die gesamte Crew. In solchen Momenten schaut das Team auf die Leitung. Auf mich als Schiffsdirektor. Mit der Frage: Wie geht es jetzt weiter? Wie halten wir die Gemeinschaft zusammen?
Am selben Tag konnten wir auch unsere letzten Patienten aus dem Krankenhaus entlassen, das war wiederum ein großer Grund zur Freude. Die Menschen waren gesund und konnten nach Hause. Und abends fand noch unsere große Abschlussfeier statt, mit über 300 einheimischen Mitarbeitern. Freude und Leid sind hier oft nah beieinander.
Was mir sehr geholfen hat, war unser starkes Leitungsteam. Ich musste das nicht allein tragen. Auch aus dem internationalen Hauptquartier in Texas kam viel Unterstützung, besonders in administrativen Fragen. Und dann hat die Crew uns einfach auch vertraut.
Tief bewegt hat mich, wie viele aus der Crew mitgedacht und mitgetragen haben. Die afrikanische Community an Bord wünschte sich eine würdige Abschiedsmöglichkeit – ein Raum wurde eigens umgestaltet, sodass über 800 Menschen dort Abschied nehmen konnten.
Ich musste niemanden antreiben. Die Crew hat von sich aus mit Respekt und Verantwortung gehandelt: wie ein gut eingespieltes Orchester. Für mich als Leiter war das eine eindrückliche Erfahrung.
Was macht die Arbeit bei Mercy Ships für Dich persönlich so besonders und einzigartig?
Was mich bei Mercy Ships besonders bewegt, ist dieser doppelte Veränderungsprozess: Hilfe bewirkt nicht nur etwas bei denen, die sie empfangen, sie verändert auch die, die helfen.
Ich erinnere mich an einen Finnen, einen erfolgreichen Geschäftsmann, der nach schweren persönlichen Krisen beschlossen hatte, beruflich noch einmal neu anzufangen. Er wollte Kapitän werden und brauchte dafür praktische Seefahrtserfahrung. Deshalb kam er für einige Monate an Bord unseres Schiffs. Er war überzeugter Atheist, eher distanziert, aber die Gemeinschaft hier hat etwas in ihm bewegt. Nach sechs Monaten bat er uns, für ihn zu beten. Das war ein Moment, der unter die Haut ging.
Oder ein Techniker aus dem Senegal, mit dem ich zusammengearbeitet habe. Nach ein paar Monaten sagte er: Ich wusste gar nicht, dass ich so strukturiert, so effektiv arbeiten kann und dass mir das sogar Freude macht. Es hat ihn komplett verändert. Nicht, weil wir ihn gedrängt hätten, sondern weil er hier einen neuen Rahmen erlebt hat, der ihm Vertrauen und Struktur gegeben hat.
Und dann gibt es natürlich auch die tiefgreifenden Veränderungen im medizinischen Bereich: Eine einheimische Anästhesieschwester etwa, die plötzlich lernte, wie sie im Notfall Leben retten kann. Von der Crew ganz zu schweigen. All das ist für mich echte Transformation und darin sehe ich Jesus am Werk. Es sind nicht nur „christliche Werte“, es ist, als könnte man Ihm direkt bei der „Arbeit“ zusehen. Und dass ich dabei mitwirken darf, ist ein großes Geschenk. Wir geben unser Bestes, aber eigentlich ist es Er, der die wahre Veränderung der Herzen, bewirkt.
Gab es für Dich einen Moment, in dem Du Gottes Wirken besonders persönlich erlebt hast?
Ja, den gab es.
Ein Crewmitglied, das sich in seiner Freizeit ehrenamtlich in einem nahegelegenen Kinderkrankenhaus engagierte berichtete, von einem kleinen Mädchen, das sie dort kennengelernt hatte. Das Kind war etwa ein Jahr alt, schwer krank und hatte einen großen Tumor am Hals. Die Prognose war schlecht: Es konnte kaum noch atmen, und man ging davon aus, dass ihm nur noch wenige Tage blieben. Die Geschichte des Mädchens ließ uns alle nicht los.
Eigentlich waren die OP-Kapazitäten auch bereits ausgeschöpft, doch irgendwie wurde Platz geschaffen.
Ich durfte bei der Operation dabei sein. Es war beeindruckend zu sehen, wie viel technisches Können nötig war, wie präzise und konzentriert die Chirurgen arbeiteten, um diesen Tumor zu entfernen, ohne lebenswichtige Nerven zu verletzen. Während der Operation entdeckte das Team plötzlich einen Nerv, den niemand an dieser Stelle erwartet hatte. Man wusste zunächst nicht, woher er genau kam oder wie wichtig er war. Statt einfach weiterzumachen, entschied sich das OP-Team, sich die Zeit zu nehmen und noch vorsichtiger vorzugehen, um den Nerv möglichst zu erhalten.
Am Ende konnten sie die gesamte Geschwulst herausnehmen. Während alle damit beschäftigt waren, den entfernten Tumor zu betrachten, richtete ich meinen Blick auf das Mädchen – und sah, wie sich ihr Gesicht ganz von selbst wieder entspannte und in seine natürliche Form zurückfand. Ein Moment, der mich sehr berührt hat.
Später habe ich Dr. Leo Cheng, den operierenden Chirurgen, gefragt, wie wichtig dieser Nerv wirklich war. Er sagte: „Das war ein Gefühlsnerv – nicht lebensnotwendig.“
Aber trotzdem hat Jesus den Weg für die vollständige Heilung freigemacht. Für mich war das ein Zeichen seiner Großzügigkeit: Dass es ihm nicht nur ums Überleben, sondern um eine echte, umfassende Wiederherstellung geht. Um Leben in Fülle – wie in diesem Fall, dass das Mädchen später den Wind auf ihrer Wange oder den Kuss ihrer Mutter spüren kann.
Ich habe Dr. Leo damals gefragt: „Ist das nicht unglaublich schön, wie Gott das wiederherstellt?“ Er antwortete: „Ich kann nur den Schaden begrenzen. Die Heilung – die kommt von Jesus.“
„Das hat mich tief getroffen. In dem Moment wurde mir klar: Wir dürfen mithelfen, ja, aber die eigentliche Wiederherstellung kommt von Gott. Wir sind nur Werkzeuge in seiner Hand. Gerade in Leitungsverantwortung ist das ein Gedanke, der trägt und entlastet: Ich muss nicht alles lösen. Ich darf dienen, vertrauen und zusehen, wie Gott heilt und verändert.“
– Daniel Lauermann
Hat Dich die Zeit an Bord verändert und was nimmst Du mit, wenn Du jetzt den Staffelstab weitergibst?
Eine Sache, die ich jetzt schon merke: Ich bin durch viele Krisen gegangen, große und kleine. Und jede davon hat meine Herangehensweise verändert. Ich habe gelernt, besser zu unterscheiden: Was ist mein Teil? Wo darf ich handeln und wo muss ich loslassen, Verantwortung abgeben und Gott wirken lassen?
Ich bin gelassener geworden, ruhiger in der Krise, überlegter im Umgang mit Risiken. Nicht, weil ich weniger Verantwortung spüre, sondern weil ich Vertrauen gewonnen habe in Gott, in andere Menschen, und auch ein Stück weit in die Erfahrung, die sich über die Jahre aufgebaut hat.
Gibt es etwas, das Du Menschen mitgeben möchtest, die Mercy Ships zum ersten Mal kennenlernen – sei es als neue Crewmitglieder oder als Unterstützer, die vielleicht noch nie an Bord waren?
Was wir als Organisation momentan verstärkt erleben, ein Wechsel von Langzeit- zu Kurzzeiteinsätzen. Es gibt weniger Menschen, die über viele Jahre hinweg konstant an Bord bleiben. Dafür kommen viele, die für kürzere Zeit ganz viel geben und dann den Staffelstab weiterreichen.
Gerade deswegen ist ein starkes Unterstützungsnetzwerk so wichtig. Menschen, die Crewmitglieder tragen. Sei es durch persönliche Begleitung, Gebet, praktische Hilfe oder auch finanzielle Unterstützung.
Menschen, die vielleicht nie selbst an Bord waren, aber durch ihre Spenden, ihr Mittragen oder ihre Ermutigung eine tragende Rolle spielen. Besonders die Langzeitspender und -partner sorgen für Stabilität in einer Zeit, in der Einsätze kürzer und dynamischer geworden sind. Sie sind ein entscheidender Teil davon, dass unsere Arbeit überhaupt möglich bleibt.
Vielen Dank, Daniel, für dieses ehrliche und tiefgehende Gespräch. Es wurde nochmals deutlich, wie viel Demut es braucht, um in großer Verantwortung zu leiten und wie wichtig es ist, Kontrolle loszulassen, das eigene Beste zu geben und den Rest in Gottes Hände zu legen. Gerade darin wird spürbar: Wirkliche Veränderung geschieht nicht durch perfekte Pläne, sondern da, wo Menschen sich führen lassen und Gott wirken kann. Wir danken Dir und Linda von Herzen für Euren treuen Einsatz bei Mercy Ships und wünschen Euch Gottes reichen Segen für alles, was kommt.
Werden Sie Teil unseres medizinischen Teams!
Ärzte und Pflegekräfte werden regelmäßig an Bord unserer Hospitalschiffe gebraucht. Bringen Sie Ihr Fachwissen ein und helfen Sie, Leben zu verändern – gemeinsam schenken wir Hoffnung und Heilung, wo sie am meisten gebraucht werden.
Wir stehen Ihnen für alle Ihre Fragen gerne telefonisch unter 0 8191 98550-14 zur Verfügung. Mehr zu unseren Stellenangeboten finden Sie hier.
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interviewte Daniel Lauermann über seine Zeit als Schiffsdirektor der Global Mercy.
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